Weidenhausen walk

Umgeben von Seitarmen der Lahn und der Zahlbach wurde Weidenhausen einst auf einem Sumpfgebiet mit mehreren kleineren Inseln lange vor Marburg begründet. 

Schleuser, Flößer und Fischer besiedelten das Sumpf- und Morast-Gebiet. Im Laufe der Zeit wurde das Gebiet, bis auf kleinere Wassergräben, trocken gelegt, und so entstand  nach und nach der kleine Stadtteil Weidenhausen. Dieser Straßenzug war für Jahrhunderte der einzige Zugang zur Stadt, und somit die einstmalige Einkaufs-, Handwerker-, Lohgerber-, und Geschäfts-Straße Marburgs. 

Der Name Weidenhausen findet seinen Ursprung nicht in dem Weidenbaum, sondern geht auf das altdeutsche Wort Wyd, Weid, zurück. Wyd ist eine Färberpflanze welche für die Blaufärberei angebaut und genutzt wurde.

Beginnen wir unseren Spaziergang durch das heutige Weidenhausen, wie früher üblich, bei der St. Jost- Kapelle.

Auf geht’s

Karte Weidenhausen

Spaziergang-Verzeichnis

1 – St. Jost.-Kapelle und Friedhof

Erste Hinweise auf die Kapelle bestehen seit ca. 1320/1325. Sie lag auf dem Pilgerweg der heiligen Elisabeth von Thüringen. Heute befindet sich seitlich der Kapelle ein kleiner moderner Anbau. Dort befand sich seit der Erbauung der Kapelle die sogenannte untere Frauensieche. Hier wurden die an Pest- und Lepra erkrankten Reisenden gepflegt, und schon zur damaligen Zeit im Todesfalle auf dem noch heute existierenden Friedhof beigesetzt. Die Kapelle wurde von einem kleinen Benediktinerorden dem Heiligen St. Jodukus gewidmet. Jodukus, als franz. Grafensohn geboren, schlug sein Erbe  aus und schloss sich den Benediktinern an. Aufgrund seiner wundertätigen und heilsamen Seelsorge wurde Jodukus, mit dem Beinamen Jost, bereits kurz nach seinem Tode heilig gesprochen. Die untere Sieche wurde seit 1820/40 als Armenhaus genutzt und 1955 abgerissen. Seit Errichtung der Kapelle wurde der Friedhof als solcher mitgenutzt. Manche der alten Grabsteine sind Marburger Persönlichkeiten gewidmet, andere mit kuriosen Inschriften versehen. Heute dient der Friedhof als sog. Friedwald, welcher nur Weidenhäuser Bürger*Innen vorbehalten ist.

2 - Brunnen

Brunnen - alt

Wenn man über die Überführung der „Stadtautobahn“ geht, gelangt man an das Ende der Weidenhäuser Straße. Dort am Brunnen befand sich das Zollhaus. Jeder der von der am Handelsweg gelegenen Zahlbach in die Stadt wollte, egal ob Adel, Ritter oder Kaufmann, musste hier sein Pferdegespann abspannen und den Zoll zahlen bevor er zu Fuß mit seinen Waren, Ansinnen und Anliegen in die Stadt durfte.

 

3 – Freudenhaus

Freudenhaus

Weidenhäuser Straße 97

Nach den langen und beschwerlichen Geschäfts- und Kaufmannsreisen wollte man sich erst ein wenig bei Badezuber und leiblicher Erfreuung entspannen und erholen. So entstand bereits im frühen Mitttelalter (um 1400) ein Freuden- und Dirnenhaus welches bis in die 1960er Jahre als solches dem Weitangereisten diente.

4 – Hofmanns Lieschen

Hofmanns Lieschen
Hoffmanns Lieschen

zwischen Weidenhäuser Straße 93 und 95

Seit dem späten Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert hinein war den Weidenhäusern das sogenannte Grabrecht zu eigen.

Grabrecht bedeutete, dass die kleinen schmalen Wassergräben zwischen den Häusern als Lohgraben zum Ledergerben genutzt werden durften. König Jérôme, der Bruder Napoleon I. hatte, während der napoelonischen Kriegsjahren, den Weidenhäusern das Grabrecht und damit deren Lebensunterhalt untersagt. Hofmanns Lieschen war es aber ein Anliegen dieses wieder für die Weidenhäuser zu erlangen.

Man erzählt sich bis heute sie sei zu ihm nach Göttingen gereist und habe so anmutig vor ihm getanzt dass König Jérôme das Grabrecht wieder erlassen habe.

Heute ist von den Wassergräben nichts mehr übrig, sie wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach zugeschüttet. Dadurch entstanden kleine schmale und größere weitläufige idyllische Innenhöfe (wofür das heutige alljährlich stattfindende Weidenhäuser Höfefest weit über Marburg hinaus bekannt ist).

 

5 - Gerbergäßchen

Gerbergässchen

Das Gerbergäßchen befindet sich zwischen den Hausnummern 81 und 87

Die Lohgerberei war ein körperlich anstrengendes Handwerk das kaum entlohnt wurde.

Der letzte Lohgerbermeister Weintraut wurde als Dichter weit über die Grenzen Marburgs hinaus bekannt. Bis heute kann man den Grabstein auf dem Friedhof bei St. Jost besichtigen.

6 - Weidenhäuser Tor

Weidenhäuser Tor

Dort, wo heute die kleine Gasse „Am Brückchen“ in die Weidenhäuser Straße mündet, befand sich das mit einer kleinen Brücke versehene Weidenhäuser Tor. Das mittelalterliche stattliche und imposante Stadttor bildete die Grenze zwischen Weidenhausen, und in deren Verlängerung, zum Stadtteil Zahlbach.

Das Tor wurde gegen Mitte des 19. Jahrhunderts an das Ende der Straße nahe des Brunnens und des Zollhauses versetzt und Mitte des 20ten Jahrhunderts abgerissen, die Zahlbach unterirdisch verlegt. Sie fließt heute für uns nicht mehr sichtbar quer durch den angrenzenden Bürgerpark zur Lahn.

7 - Braugasse

Braugasse

Weidenhäuser Straße 60 / 56 / 57

Wo sich heute ein Innenhof befindet, wurde bereits im 15. Jahrhundert Bier gebraut (Nr. 60). Durch einen holzgeschützten Bohlengang in der dritten Etage war die Brauerei mit den beiden Häusern Nr. 56 und 57, der straßenseitig gegenüberliegende Braugaststätte (Nr. 57) verbunden.

8 - Feinbackwaren und Logie

Feinbackwaren und Logie

Weidenhäuser Straße 50

Als Beispiel für die Häuser der Weidenhäuser Straße soll hier das Haus mit der Nummer 50 dienen. Um ca. 1350/1400 erbaut, um 1600 erweitert, zählte es ehemals zu den Marburger Bürgerhäusern. Der heutige Innenhof war ehemals ein Loh- und Gerbergraben, das Hinterhaus wurde als Wirtschafts-, Stall-. und Scheunengebäude genutzt. Das Kellergewölbe und der Dachstuhl wurden im frügotischem Stil errichtet, ebenso das (nicht sichtbare) Fachwerk im frühgotischem Ständerwerk aufgerichtet. Hier entstand im beginnenden 17ten Jahrhundert eine der ersten Bäckereien in Marburg. Später wurde die Liegenschaft gleichzeitig als Umspannwerk für Pferde- und viehgezogene Fahrwerke, eine Feinbäckerei, ein Kolonialwarenladen, eine Gastwirtschaft, eine Weinhandlung und als Logierhaus für wandernde Zunftgesellen genutzt.

Die Haustür ist noch Original aus der frühbarocken Zeit erhalten, verziert mit einem gotischen Sonnenrad im unteren Bereich. Das Haus Nr. 50 dient heute als reines Wohnhaus.

Als Marburg Preußen zugeschlagen wurde, wollte man sich großbürgerlich geben, und verputzte die Fassaden, da Fachwerk zu dieser Zeit als ein Zeugnis der Armut diente. So entstand das idyllische Ensemble der Straße: Fachwerk wechselt sich mit farbig verputzten Hausfassaden ab.

9 - Regenschirmmacher

Regenschirmmacher

Weidenhäuser Straße 47

In der Nummer 47 befand sich im Erdgeschoss noch bis in die 1980er Jahre ein Regenschirmmacher. Marburg befindet sich zwischen zwei Wettterscheiden. So kann es durchaus vorkommen, dass es in der Oberstadt regnet, aber Weidenhausen von der Sonne verwöhnt wird. Der Regenschirmmacher hatte trotzdem gewiss genug zu tun!

10 - Wagner und Hufbeschlag

Wagner und Hufbeschlage

Weidenhäuser Straße 44

Wagner gehörten zu der Zunft, die Fuhrwerke, Kutschen, Wagenräder, Achsen und Rad-Deichseln herstellten. Dietrich Klein war der letzte Wagner Marburgs. Er verdingte sich ein Zubrot durch Hufbeschlag der Pferde und Wagengespanne.

11 - Kegelbahn

Kegelbahn

Weidenhäuser Straße 37

Neben einer kleinen Brauerei befand sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert bis in die 1920/30er Jahre Marburgs einzige Kegelbahn. Dieser versteckt und langgezogener Fachwerkbau, hinter dem Eingang des Hauses gelegen, dient heute als reines Wohnhaus.

12 - Tischbein

Tischbein

Weidenhäuser Straße 33

Das Stammhaus der berühmten Malerfamilie Tischbein befindet sich in der Nr. 33. Die Tischbein stammten um 1640 von einer Schreiner- und Malerfamilie ab. Sämtliche Kinder und nachfolgenden Generationen waren im künstlerischen Bereich tätig und bekleideten hohe Positionen. Sie wirkten unter anderem als Leitender Direktor der Göttinger Universität, Maler und Radierer an den Universitäten zu Moskau und Petersburg, Mechanicus an der Marburger Universität, Malerdiletantin und Bademeisteraufsichtsrätin in Leipzig, Kunststickerin und Miniaturmalerin in Hamburg, Erfinder eines Vorläufers eines Brotbackautomaten (um 1700). Tischbein selbst hatte neun Kinder. Die Reihe der Maler, Künstler und Erfinder lässt sich bis heute weiter fortsetzen. 

13 - Henkersviertel

Henkersviertel
Hernkersviertel

Kappesgasse

In der kleinen rechts und links liegenden und kreuzenden Kappesgasse, kurz vor der Brücke, wohnten einst Henker. Den Henkern war aufgrund ihrer unehrenhaften Tätigkeit der Zugang zur Stadt verwehrt, da man diese würdig und ehrenhaft halten wollte. Ein kleiner Nebenverdienst für die Henker stellte deshalb wohl das Nachstellen und deren Freigabe gegen Lösegeld der durch die Straße ziehenden Kaufmänner und Handelstreibenden dar. Davon wurden die Weidenhäuser selbst aus Nachbarschaftsliebe verschont.

Anfang des 20. Jahrhunderts siedelten sich die ersten Roma Marburgs an, welche einen großen Handel mit Seifen, Schrott und Kleinmetallwaren betrieben.

Die Kappesgasse erhielt ihren Namen durch die schwarzen Kappen der Henkerskleidung.

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14 - St. Jakob

St. Jakob
St. Jakob

Weidenhäuser Straße 13

Nahe der Weidenhäuser Brücke befindet sich das ehemalige Hospital St. Jakob. 

Erbaut um 1570 diente das Hospital als Pilgerherberge und Unterkunft für Handelsreisende. Später wurde das stattliche Haus als Hospital, Fürsorge und Armenhaus umgewidmet. Um 1700 gründete sich aus den Bürgern und Bürgerinnen Marburgs die St. Jost Bruderschaft, die sich den Kranken und Armen widmete. Der hintere Bereich, der sich bis zur Lahn erstreckt, diente als Wohn- und Beethaus der Bruderschaft, welche sich im Sinne der ehemaligen St. Jost Benediktiner um die Armen und Kranken der Stadt sorgten.

Um 1880 wurde das Hospital als Diakonissen-Mutterhaus, einer Art evangelisches Nonnenkloster, umgewidmet und als Armenhaus weitergeführt. Mit Umzug der Diakonissen um 1945/50 wurde das Haus aufgegeben und diente zunächst den Flüchtlingsfamilien als Unterkunft. Nach langem Leerstand befindet sich heute eine Wohngemeinschaft psychosozial betreuter Menschen im ehemaligen Hospital. 

15 - Weidenhäuser Brücke

Weidenhäuser Brück

Die Weidenhäuser Brücke oblag früher der Aufsicht der Weidenhäuser und stellte den einzigen Zugang zur Stadt dar. Seit dem frühen Mittelalter ein Holzbohlensteg, wurden die ersten beiden Brückenpfeiller links und rechts des Lahnufers erst in der Reformationszeit aus Stein aufgebaut. Da man Geld sparen wollte, war die Idee die ehemalige Dominikanerklosterkirche, heutige Universitätskirche, abzutragen, um aus dem Gemäuer die beiden mächtigen Brückenpfeiler aufzubauen. Schnell kam man von dieser Idee ab und bemächtigte sich des Gemäuers des Kiliians (in der Oberstadt gelegen). Erst in den 1930/40er Jahren wurde der mittlere Bohlensteg durch Steinmauern ersetzt und dient heute als eine der Fußgänger- und Verkehrshauptachsen Marburgs.

16 - Zoo und Ziegelei

Zoo und Zieglei
Ziegelei

Parkanlage Bügerpark

Dort, wo sich der heutige Park befindet, wurde einstmals ein Zoo mit freilebenden Tieren aus aller Welt errichtet. Einer der Landgrafen schenkte seinem Bruder in Kassel zwei Löwen aus dem Zoo. Die beiden Tiere hielten es in Kassel nicht lange aus. Da im nur ca. 100 km nördlich von Marburg gelegenen Kassel das Klima kühler war, sind die beiden Löwen dort erfroren. Der Zoo wurde erst um die Jahrhundertwende um 1900 aufgeben.

 

Direkt zwischen Lahn und Park befindet sich die alte Ziegelei, begründet Mitte 1800. Es wurden keine Dachziegel gebrannt (wie der Namen vermuten lässt). Hergestellt wurden Backsteinziegel, Kacheln aus Backsteinen, Flaschen und Behältnisse. Heute wird die alte Ziegelei von einer Initiative Wohnen für Generationen als Wohnhaus genutzt.
 
Der Park dient heute als eines der beliebtesten Grünflächen Marburgs der Erholung und  Entspannung Marburger Studierenden, jungen Familien und Marburger Bürger*Innen.

Vielen Dank

Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und hoffen der Einblick in die Weidenhäuser Straße un die kleine Zeitreise hat Ihnen gefallen. Auf bald!

Ihre Aktionsgemeinschaft Weidenhausen e.V.